Der Menschheitstraum vom Fliegen

Es gibt diese typischen Lehrersätze. Sätze, die sich klug anhören, über deren Sinn man jedoch nicht allzu lange grübeln sollte. Sonst würde nämlich auffallen, dass diese Sätze nicht nur dumm, sondern ebenso überflüssig sind wie wiederverschließbare Milka-Schokolade.

Doch aus jahrelanger Erfahrung wissen Lehrer, dass allzu langes Nachgrübeln über ihre Sätze von Seiten der Schüler eher die Ausnahme ist. Und so kommt es, dass wohl jeder von uns in seiner Schulzeit einmal folgenden Satz gehört hat: „Solange der Mensch existiert, wünschte er sich nichts sehnlicher als fliegen zu können.“ Danach folgt wahlweise die Fabel von Ikarus und Dädalus oder ein biographischer Abriss Otto Lilienthals.

Aber hat überhaupt mal jemand darüber nachgedacht, was der Satz bedeuten soll? Warum wünscht sich der Mensch seit Urzeiten fliegen zu können? So ein Stuss! Ich würde mich viel lieber ans andere Ende der Welt beamen können als dorthin zu fliegen. Oder soll es etwa der Menschheitstraum sein, 24 Stunden neben einem schnarchenden, schmatzenden und Körperausdünstungen von sich gebenden Mitmenschen auf einen Flugsessel gepfercht zu sein? Und lieber wandel ich den Rest meines Lebens auf meinen beiden Füßen, als mir noch einmal mit Ryanair den Menschheitstraum vom Fliegen zu erfüllen.

Der Traum vom Fliegen begann mit Ryanair weit weg von der Zivilisation, genauer gesagt in Frankfurt-Hahn. Man darf sich da bloß nicht von der Ortsbezeichnung täuschen lassen. Zwischen dem Lufthansa-Frankfurt und dem Ryanair-Frankfurt-Hahn liegen nicht nur eineinhalb Fahrtstunden, sondern Welten!

Als ich das erste Mal das Flughafengelände in Frankfurt-Hahn gesehen hatte, schämte ich mich tatsächlich ein wenig für Deutschland.  Das Gelände ist so schäbig –  kämen dort amerikanische Touristen an, sie würden glatt einen zweiten Marshall-Plan auflegen! Ganz im Ernst, wäre ich Locationscout und müsste den Drehort „Flughafen Kirgisistan“ finden – ich wüsste wo!

Das Flughafeninnere war auch anders, als man es von anderen Flughäfen gewöhnt ist. Es gab keinen Check-In-Schalter und keine Warteschlangen. Kein Wunder, es wurden nicht einmal meine Passdaten überprüft. Die einzige Schlange bildete sich vor der Frau mit der Waage. Denn das Handgepäck durfte kein Gramm mehr als zehn Kilo wiegen und mit dieser Vorschrift nimmt es Ryanair sehr genau. Im Ernst, wahrscheinlich würde jeder Terrorist in den Flieger gelassen, solang seine Bombe nur 9,9 Kilo wiegen und 20 × 40 × 55 Zentimeter nicht überschreiten würde.

Bis kurz vor Flugbeginn rätselten wir, die wir für ein Flugticket nur 10 Euro (inklusive sämtlicher Gebühren) bezahlt hatten, wie diese Gesellschaft gewinnbringend operieren kann. Dies wurde uns auf dem zweistündigen Flug schnell klar: Das Fliegen stellt für Ryanair nur einen  Nebenerwerb dar. Tatsächlich ist das ein Kaffeefahrt-Unternehmen. „Kaufen Sie Speisen aus unserem Boardrestaurant! Kaufen Sie Bustickets! Kaufen Sie Rubbellose und Gutscheine!“ Die Stewardessen waren ausgebildete Vertriebsleute. Na gut, die hatten ja auch sonst nichts zu tun. Getränke bringen, oder so.

Und auch die Aufmerksamkeit der Passagiere war gesichert: Keine Ablenkung durch Boardfernsehen oder Musikprogramme. Ja, man konnte sich dem Verkaufsangeboten noch nicht einmal entziehen, indem man sich schlafend stellte, denn die Rückenlehnen der mit Plastik bezogenen Sessel  waren nicht verstellbar.

Nun, nach zwei Stunden endete der Traum vom Fliegen bei Ryanair mit einem Fanfarengeräusch vom Band, ansonsten aber genauso wie er angefangen hat: Im Nirgendwo. Oder wie meine Mitfliegerin beim Blick auf die schwedische Landschaft sagte: „Oh man, hier ist auch voll die Einöde. Überhaupt keine Stadt in Sicht.“  „Ich glaub, wir sind gleich da.“

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